Cover: Hot Chip - Why Make Sense

Dass die Siebziger und Achtziger in der heutigen Popmusik wieder eine wichtige Rolle spielen, dürfte bekannt sein. Da werden alte Drum Machines wieder ausgepackt, der analoge Synthesizer auf Vordermann gebracht und Vocoder über die Stimme gelegt wie schon zu Spandex-Zeiten – das kann gut gehen, oder tierisch in die Leggings. Meister des analogen Synthie-Sounds sind Hot Chip. Die Engländer um Alexis Taylor und Joe Goddard machen seit nunmehr 15 Jahren zusammen Musik und kreieren elektronische Popmusik, an der sich Madonna selbst eine Scheibe hätte abschneiden wollen, wären die Jungs zu ihren Zeiten schon unterwegs gewesen.

Was Hot Chip heute ausmacht, ist die Symbiose des klassischen Synth-Pops und modernen Indietronica mit einem Hauch von Funk. Das Besondere am neuen Album “Why Make Sense?” ist dabei, dass es live-recorded ist und auch absolut danach klingt. Hier gibt es keinen Einheitsbrei aus fetten, über-komprimierten Keyboards und altbackenen E-Drum-Samples, und auch keine crunchige Gitarrenzerre auf kitschigem Eighties-Streicherteppich. Bei Hot Chip 2015 wirkt alles natürlich, mit echter, analoger Hardware eingespielt statt digitalen Virtual Instruments. Die Drums kommen nicht aus der Dose, sondern wurden von Schlagzeugerin Sarah Jones (New Young Pony Club, Bat For Lashes) wunderbar dynamisch vorgelegt. Neben alten Bekannten wie Owen Clarke, Felix Martin und Al Doyle gesellt sich außerdem Rob Smoughton zu der Riege der Multi-Instrumentalisten, die dem Album ihre besondere Note geben.

Was die neuen Hot Chip auch ausmacht, ist die Rückbesinnung auf einen entschlackten, direkten Sound. Weniger Schichten, mehr Platz für die einzelnen Instrumente. Dass die Platte dabei auch noch hochgradig sauber und dynamisch abgemischt und produziert wurde, ist die Kirsche auf dem Elektro-Sahnebecher. Grundsätzlich fühlt man sich angenehm an Daft Punk oder R’n’B-Hits aus den Siebzigern erinnert, ohne dass der Geschmack nach bereits Bekanntem die Erfahrung an “Why Make Sense?” trüben würde.

Die erste Single des Albums, “Huarache Lights”, legt als erster Track auf der Titelliste passend die Richtung des Albums vor, bleibt aber einer von wenigen wirklich treibenden Songs. Hier wird bei der Daft-Punk-esquen Talkbox-Stimme und den Sägezahn-Synthies deutlich “Elektro!” geschrien, während der straighte Drum-Beat für das Verlangen nach einer Tanzfläche sorgt. Viel repräsentiver für das Album als solches ist der Song “Love Is The Future”, wo ebenfalls getanzt werden darf, wenn auch eher entspannt flirtig als Bier-verschüttend ausladend. Hier werden wieder die R’n’B- und Funk-Einflüsse deutlich, besonders, wenn sich Joe Goddards tiefe Stimme zu Alexis Taylors sanft-hohem Falsett gesellt. Die Rap-Einlage von De La Soul fährt das Ding dann geschmeidig nach Hause.

Geschmeidig und gemütlich – das beschreibt den Rest des Albums sowieso ganz gut. „Easy To Get“ etwa führt das Prinzip Disco mit eleganten Synthie-Melodien und flächigem E-Piano weiter, erinnert manchmal sogar an ganz frühe Michael Jackson-Solosachen. Der letzte und namensgebende Track „Why Make Sense?“ überrascht dann mit verzerrten Gitarren und Banger-Drums – also jener Art von Elektro-Indie, der sich Hot Chip eigentlich bisher auf der Platte gut entziehen konnten. Definitiv der schwächste Song auf dem Album, auch wenn sich der Text – wie auch auf dem Rest des Albums – tiefgründig zeigt: „Why make sense when the world around refuses? /[ ...] Why be tough when strength is just for losers? / Be what you are at the mercy of yours.“

Hot Chip klingen individuell und dynamisch und zeugen von lyrischer wie auch musikalischer Einfühlsamkeit. Der Schritt zum Live-Recording war logisch und gut, um auch nach 15 Jahren Bandkarriere noch frisch zu bleiben – und dank Hot Chips Treue zu ihren Wurzeln kommt trotzdem die Tanzfläche nicht zu kurz. (Sebastian Seifert | CampusFM)

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