Cover: FKA twigs - LP 1

Das Kreativen-Nest London brütet schon lange was aus. Die zwei sphärisch anmutenden EP´s von FKA twigs präsentierten elektronisch fundierte Skizzen, auf denen sich die bittersüß zarte Stimme von Tahliah Barnett legte. Nun ha-ha-haucht und jauchzt sie förmlich auf ihrem Debütalbum „LP1“ zu Residuen britischer Bass-Kompositionen. Die FKA twigs innewohnende enigmatische Tendenz hat es dabei nie ganz erlaubt, sie eindeutig zu verorten.

Mit „Preface“ beginnt diese minutiöse Zärtlichkeit aber ein wenig sakral: Barnetts Gesang wagt sich höchste Höhen, klingt hier fast ein wenig nach choralem Kirchengesang – ganz ähnlich auch auf dem zu Beginn tatsächlich ätherisch-düsterem „Closer“, das mit seinen tackerartigen Beats aber schon eher als Exempel für den Gesamtsound dienen könnte. Zum Teil arg entschleunigte Dub- und Trap-Elemente werden hier ganz sanft durchdekliniert. Der Electro-Pop, der zum Teil auch von BANKS stammen könnte, ist von der britischen Bassmusik durchsetzt und –kreuzt. Inkongruenzen inklusive.

Dazwischen immer wieder der ganz große Wurf: „Two Weeks“ mit seinen dunklen Synthie-Pads und pulsierenden Flächen, deren Automatismus Barnetts Gesang hier aber ganz viel Melodik abringen kann. Dazwischen garnieren sich reduzierte Song-Schablonen, die immer ein wenig lose arrangiert wirken. Nicht primär, um an die Imaginationskraft des Hörers zu appellieren, sondern, um der Protagonistin den beanspruchten Raum zu gewähren. Barnett schnellt plötzlich nach oben, um in der nächsten Sequenz dann doch wieder die verführerische, dominantere Position einzunehmen: „How would you like it if my lips touch yours?“ Doch auch die Souveränität verflüchtigt sich wieder, um Verletzlichkeit zu artikulieren.

Etwa die im gebrechlich entrückten „Numbers“ phasenweise fragil vorgetragene Furcht, nach einer beendeten „Nummer“ nur eben eine solche gewesen zu sein. „Was I just your a number to you?“, säuselt Barnett, um den Song doch noch in ein luftig-leichtes Soulpop-Gewand zu hüllen. Stimmungs- und Stilwechsel, die sich meist aber immer nach kurzem Silentium einstellen. Positionswechsel eben, wenn man so will. Thematisch suhlt sie sich scheinbar gerne in gängigen R´n´B-Schemata: Verlassen werden, schmachtender Sehnsucht, Sex, Eros. Das Interessante ist dabei jedoch, dass die von Mystik umwobenen Stücke stets zwischen Initiative und Ergriffenwerden pendeln.

Barnett bewegt sich da auf Messers Schneide, evoziert stimmlich eine Zerreißprobe, die den roten Faden der verschachtelten Soundbrocken immer wieder durchtrennt. Auf „Pendulum“ etwa singt sie über klopfende Beats, bis eine funkige Gitarre sich einschmiegt – naturelle Elemente tauchen immer wieder vereinzelt auf. Im Übrigen einer der Tracks, auf denen Barnett nicht nur orgiastische Jauchzer von sich loopt, sondern selbst den Autotune aktiviert hat. Die Stimme wird hier quasi selbst zum Instrument, was den erotisierenden Grundtenor nochmals akzentuiert.

Diese Performanz merkt man den Stücken an, die sich förmlich strecken und dann wieder in sich winden. Diese Körperlichkeit ist dann auch spannend genug, dass auf den Anderen auch mal verzichten werden kann: So dokumentiert „Kicks“ am Ende die Selbstberührungen beim Ausbleiben des Partners. Fazit: Tools are cool. Eine romantische Absage an die Romantik, denn das Warten ist gar keine Qual mehr: „Tell me what do I do when you´re not here. I get my kicks like you“, flüstert, haucht, fragt und beantwortet FKA twigs auf Laserschwert-Synthie-Blitzen und Helium-Samples auf Erkundungstour ihres eigenen Körpers: „When I am alone, I don´t need you.“ Das ist dann auch dieser ambivalent narzisstische Zug, der alle Stücke beiläufig durchweht. Warum immer der Wunsch nach Zweisamkeit, wenn Alleine-Sein doch so spannend sein kann?

Genauso ist „LP1“ an sich eine Exkursion, ein Erkunden der eigenen Bedürfnisse. Viel Intimität wird gewagt, die jedoch immer wieder kunstvoll verdeckt wird und sich dem Hörer niemals anbiedert, geschweige denn unmittelbar präsentiert. Das liegt auch an dem visionären Soundbild, dessen eruptive Tendenz jede sich anbahnende Struktur schon im Vorfeld relativ erscheinen lässt. Eine stimmige Platte, trotz viel Kontingenz, die auch Barnetts Tanzstil entspricht: Plötzliche Aktivität, aus dem Nichts entsprungene Erhabenheit. (Philipp Kressmann, CT das radio)

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