Cover: Let's Eat Grandma - I, Gemini

Zuckersüße Stimmchen, Ohrwurmhymnen und eine ordentliche Scheiß-Drauf-Attitüde: Let's Eat Grandma singen mit pubertierender Naivität Texte, die mal mehr und mal weniger Sinn ergeben, auf selbstgebasteltes Soundgewaber zwischen deepen Bässen und Glockenspiel-Soli.

Sich nicht inspirieren zu lassen, ist auch eine Kunst. Rosa Walton und Jenny Hollingworth sind befreundet, seit sie vier Jahre alt sind. Mit 13 stand die erste eigene Band: Let's Eat Grandma. Das ist nicht mal vier Jahre her. Mit 16 und 17 leben sie nun in der britischen Uni-Stadt Norwich, studieren Musik und und versuchen, die Augen vor ihren Mitstudierenden zu verschließen. „Es gibt viele junge Bands in Norwich“, sagt Jenny im NME-Interview. „Die machen Indie-Rock-Zeug und ein bisschen Grime.“ Davon wollten sie sich aber nicht davon abbringen lassen, ihren eigenen Stil durchzuziehen, auch wenn sie sich dann manchmal ein bisschen ausgeschlossen fühlten.

Tatsächlich ist mit dem Debüt I, Gemini ein erstes Album entstanden, das bewusst abseits von weltlichen Einflüssen erscheint. Der Opener Deep Six Textbook wabert mit einer düsteren Bass-Drum und Claps irgendwo fern aus dem Hintergrund heran, um nach vier Minuten seinen Höhepunkt in einem Glockenspiel-Solo zu finden. Das entbehrt nun wirklich jedem Trend. Mehr Referenzen lassen da schon die Gesangsparts zu. Rosa und Jenny singen betont seicht, kindlich, und klingen so manchmal wie Sierra und Bianca Cassady zu Coco Rosies naivsten Zeiten. Inhaltlich geht es hier mit Songs wie Chocolate Sludge Cake und Chimpazees in Canopies gerne um Banalitäten, immer mit einem Augenzwinkern in Richtung Adam-Green-Lyrik versehen. Wären die beiden nicht so unfassbar jung, würde man ihnen gerne unterstellen, dass diese Songs in kräftig durch halluzinogene Drogen berauschten Nächten entstanden sind.

Gleichzeitig klingt I, Gemini nach klarem Kalkül. Selbst Songs wie Eat Shiitake Mushrooms, die zwei Minuten brauchen, um überhaupt eine Songstruktur zuzulassen, setzen schließlich auf eine glasklare Hook und monotone Melodien. Sie fressen sich ins Hirn und hinterlassen brennende Ohrwürmer. Wer etwas Ruhe verträgt, wird hier von einem hitverdächtigen Refrain zum nächsten getragen, eben mit kleinen Zwischenspielen aus Synthesizer, Saxofon, Glockenspiel und jeder Menge Lo-Fi-Rekorder-Parts. Die Rap-Einsätze der beiden Freundinnen aus Ost-England treiben nach vorne. So bieten sie Angriffsfläche für Samples und Remixes. Auch ein Weg, um sich in der Popwelt Gehört zu verschaffen.

(Nele Posthausen | eldoradio*)

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