Cover: Bilderbuch - SCHICK SCHOCK

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow hat mal gesagt, über Sex könne man nur auf Englisch singen. Maurice Ernst von Bilderbuch kann darüber wohl nur müde lächeln, denn scheinbar muss man für mehr Sexappeal in deutschsprachiger Musik nur ein wenig am Pop-Rezept herumdoktern. Statt verkopften intellektuellen Zeilen schreiben die Wiener Klosterschüler Texte, die vor Obszönität, Lässigkeit und Hedonismus nur so strotzen.

Auch wenn man es meinen könnte, Bilderbuch sind keineswegs Neulinge im Business. Angefangen haben die Österreicher 2005 als Schulband, im Alter von 14 und 15 Jahren. Bereits das Debüt „Nelken und Schillinge“ fand im Jahre 2009 anerkennende Kritiken in den geläufigen Musikmagazinen. Damals klangen die vier allerdings noch nach waschechtem Indie-Disco-Sound à la Bloc Party. 

Zwei Jahre später folgte das Konzeptalbum „Die Pest im Piemont“ dessen Grundlage der Roman „Die Pest“ von Albert Camus ist. Das Ergebnis kann sich hören lassen: Düsterer Diskurspop, mit Texten die zeigen, wie nah Parolen und Poesie sich sein können. Das Video der Single „Karibische Träume“, das in Zusammenarbeit mit Regisseur Antonin Pevny entstand - der bereits mit Moby zusammen arbeitete - war übrigens die Vorlage für Caspers Clip zu „Auf und davon“.

2013 fingen dann auf einmal alle Bandmitglieder an, Kayne West zu hören, was vielleicht auch an dem neu zur Formation zugestoßenen Hip-Hop- und R’n’B- Schlagzeuger Philipp „Pille“ Scheibl gelegen haben könnte. Die EP „Feinste Seide“, auf der bereits 3 Songs des neuen Albums enthalten sind, erschien und die Single-Auskopplung „Plansch“ verzückte die deutsche Feuilleton-Presse. Mitte des Jahres entschied sich die Band zur Gründung des eigenen Labels „Maschin Records“, kurz danach wird mit „Maschin“ die zweite Single samt preisgekröntem Hochglanz-Musikvideo veröffentlicht, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit Pevny entstand.

Der neuste Streich der Österreicher heißt SCHICK SCHOCK und ist eine betörende Party voller Glitzer und Konfetti mitten im Dschungel. Pool und Lamborghini inklusive. Vom rockigen Indie-Flair ist kaum noch etwas zu hören, dafür stimmen Trommelwirbel und Posaunen im Opener in ein buntes Potpourri aus Funk, Hip-Hop und Soul ein. Der zweite Track „Feinste Seide“ baut sich auf einem lässigen Klangteppich aus Triangeln, üppigen Beats und mal schrammeligen, mal orientalischen Gitarrenriffs auf. Auch der Nachfolger "OM" (Achtung, Falco Zitat!) lebt von diesen leicht orientalischen Muster.

Der titelgebende Song strotzt nur so vor lauter Süffisanz und Koketterie. „Du bist hinter meinem Hintern her! / Sag es laut, jaul es raus, gib es zu! / Du bist hinter meinem Hintern!“ Plock-Plock-Plock, tönen die gesampelten Mac-Lautstärketasten, dann ein borniertes „Ha!“ und der SCHICK SCHOCK setzt ein. Es folgt eine bezirzende Liebeserklärung an prickelnde Softdrinks, inklusive einer ausufernden Lobesrede, die ein YouTube-Fan unter eines der Live-Videos der Band schrieb, im ersten Rap-Part.

„Maschin" klingt ganz genauso, wie es der Name vermuten lässt. Machohafte Liebeserklärung trifft mithilfe von funkigen Bässen und teils schrammeligen, teils quietschenden Riffs auf polierten Sexappeal. Das Video zur Single hat wohl mindestens genauso viel Stil wie Sänger Maurice, der kürzlich erst von der GQ zum „best-dressed-man of Austria“ gekürt wurde.

In „Rosen zum Planfond“ schleusen blechernde Beats, Panflöten und Schreie den entzückenden österreichischen Begriff für eine Zimmerdecke in die deutsche Popmusik ein. Der spielerische Sound des Songs verschmilzt mit der säuselnden Kopfstimme von Maurice und lässt einen spätestens nach dem zweiten Hören so schnell nicht mehr los! Der Closer „Gibraltar“ beendet den anrüchigen SCHICK SCHOCK-Flirt mit sehnsuchtsvollen, fast schnulzigen Gitarren und dezenten eingesetzten Drums.

Das gesamte Album ist ein äußerst gelungenes Experiment. Angerichtet mit vielen funkigen Beats, einem ausgeklügeltem Sample-Working, dazu raffiniert eingesetzter Autotune und fertig ist ein Postmodernes Pop-Kunstwerk. Fast jeder der zwölf Songs hat Hitpotential und still sitzen bleiben kann bei diesem Album sowieso niemand. Ganz nebenbei beweisen Bilderbuch, dass deutschsprachige Musik mithilfe von schamloser Arroganz und frechem Augenzwinkern, eine gehörige Portion Sex vertragen kann, ganz ohne dabei peinlich zu klingen. Chapeau! (Julia Seegers, CT das radio)

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