Albumcover: Guy Garvey - Courting The Squall

Guy Garvey ist hierzulande vielleicht nicht jedem ein Begriff. Als Sänger der britischen Alternative-Rock-Band Elbow hat er allerdings schon einige Jahre Erfahrung im Musikgeschäft – mehr als 20 Jahre Erfahrung. Elbow, und als Resultat auch Garvey selbst, sind feste Institutionen in der englischen Musikszene und der Popwelt der Inseln. Trotzdem brauchte es so verdammt lange, bis Garvey endlich ein Solo-Album veröffentlichen wollte – und das ist mehr als nur „Elbow Revisited“.

Für die Arbeit an „Courting The Squall“ hat sich Garvey mit einigen seiner Lieblingsmusiker für neun Wochen in ein Studio verzogen. Zu diesen Musikern gehören Pete Jobson, eigentlich Bassist von I Am Kloot, hier an der Gitarre, und Nathan Sudders von The Whip am Bass. Alex Reeves sorgt für wunderbares Rhythmusgefühl am Schlagzeug, dazu gesellen sich Keyboarder Ben Christophers und Rachael Gladwin an der Harfe und der Kora, einer westafrikanischen Harfenart. Dass Garvey seine Lieblingsmusiker zusammenstellen und auf seinem Album Debüt-Soloalbum spielen lassen wollte, zeugt davon, wie losgelöst von seinem eigentlichen Bandprojekt er arbeiten konnte. Und man möge mir die vielen Vergleiche zu Elbow verzeihen, doch Garvey schafft es mit Courting The Squall hervorragend, auf eigenen Füßen zu stehen. Erst hier wird deutlich, wie maßgeblich er am Sound seiner Rock-Kombo beteiligt ist. Garveys Stimme kann bombastisch sein oder melancholisch sanft, zeigt aber immer diese einzigartige Wärme und Melodieführung, die den sympathischen Engländer ausmachen.

Der erste Track des Albums und gleichzeitige Vorabsingle „Angela’s Eyes“ zeigt diese Elemente in einem neuen Gewand: Garvey singt etwas abgehackter zu diesem bluesig-perkussiven Song. Dazu kommt ein Keyboard-Sound, den es so bei Elbow nicht gegeben hätte. Der ganze Song wirkt – wie der Rest des Albums auch – wie eine spontane Session im Studio, bei der jemand einfach mal auf „Aufnahme“ gedrückt hat. Und tatsächlich ist genau das stellenweise passiert: Einige Songs bestehen aus Live-Aufnahmen aus dem Studio, ohne Overdubs oder extensive Proben. Das dürfte auch die Elbow-Fans überzeugen, die lieber die alten Klassiker wie One Day Like This oder Mirrorball hören wollen. Der Titeltrack „Courting The Squall“ weist wiederum stärkere Parallelen zu den letzten Elbow-Alben auf; manchmal kann (und will) der große Mann aus Manchester seine musikalischen Hintergründe nunmal nicht verbergen. Garveys Texte sind wunderbar bildhaft, wenn auch manchmal nicht immer eindeutig, aber das müssen sie auch gar nicht sein. Garvey ist ein Meister der verwörtlichten Gefühlswelt, ohne in Gefühlsduselei oder abgedroschene Phrasen zu verfallen.
Im Duett mit Sängerin Jolie Holland präsentiert Garvey beim Song „Electricity“ plötzlich ein klangliches Bild, das an alte Pariser Jazzkneipen erinnert, oder verrauchte Clubs im Amerika zu Zeiten der Prohibition – und es passt perfekt. Es wird schnell klar, dass Garvey bei seinem Solo-Debüt möglichst die bekannten Pfade zu vermeiden versucht und einfach experimentieren möchte.
Weitere Highlights der Platte sind „Harder Edges“ und „Belly Of The Whale“, die die bekannten Bläsersektionen aus Elbow-Zeiten über unglaublich greifenden Grooves pulsieren lässt. Oder der finale Track „Three Bells“, das den Hörer mindestens genauso emotional packt wie damals „Lippy Kids“ auf Elbows „Build A Rocket Kids!“

Sein Solo-Debüt Courting The Squalls mag Guy Garveys Reaktion auf seine inzwischen 40 Jahre Lebenserfahrung sein. Es behandelt verflossene oder schwierige Beziehungen, sowohl romantischer als auch freundschaftlicher Natur, genauso wie Rückblicke auf das Leben in Nostalgie und Reue. Trotzdem, und trotz der experimentellen Natur des Albums, wirkt es nicht hastig zusammengewürfelt oder undurchdacht; alles greift wunderbar ineinander. Durch die analogen und spontanen Aufnahmen und die Tatsache, dass es nicht (wie inzwischen leider so oft üblich hoffnungslos überproduziert wurde, wirkt es nahbar und wie eine authentische Momentaufnahme. Courting The Squalls ist nicht nur für Elbow-Fans interessant. Guy Garveys Solo-Debüt ist für jeden interessant, der ehrliche Musik mag. (Sebastian Seifert | Campus FM)

 

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