Dirty Projectors - Lamp Lit Prose

Ach, wie schön ein Besuch von Versailles im Westen von Paris sein kann. Bei Sonnenschein in den Palastgärten chillen und dem Zwitschern der Vögel lauschen, herrlich, dabei noch frisch verliebt zu zweit in den Himmel blicken und den Wind in den Haaren spüren. Diesen Frühlingstag beschreibt David Longstreth auf Blue Bird, einem Song auf dem neuen Album Lamp Lit Prose seines Soloprojekts Dirty Projectors. Die frühsommerliche Atmosphäre, die Longstreth besingt, die klingt fröhlich und glücklich durch eine liebliche Melodie und viele Percussions. Glücklich? David Longstreth?

Balladen und traurige, verzweifelte Abschiedsbriefe waren bis dato das Handwerk von Konzeptionalist Longstreth. Das letzte, selbst-betitelte Album von Dirty Projectors war ein Trennungsalbum, und gleichzeitig das berührendste Werk, das Longstreth jemals geschrieben hat, sagt er in einem Interview. Da verarbeitet er die Trennung zu seiner Freundin und seinem damaligen Bandmember Amber Coffmann. In Longstreths Worten: „The band and my relationship with Amber had become so intertwined that, when we broke up, it felt like everything that had defined my life for a decade was suddenly gone.“ Musikalisch klang das so: Dirty Projectors als Duo war experimenteller Pop, der gute Laune verströmt hat. Dirty Projectors als Solo war experimenteller Pop, der einem nur dann bekommen hat, wenn im eigenen Umfeld alles harmonisch ist – also irgendwie nie so ganz. 17 Monate später klingt es als würde Longstreth ein Veto gegen seine eigene Musik einlegen. Dirty Projectors als Solo ist wieder experimenteller Pop, in dem Gitarren, Percussions und Effekte verspielt tanzen.

Dabei deutete nichts darauf hin, dass Longstreth den Schmerz seines Lebens  verarbeitet hat. Der erste Track auf Lamp Lit Prose beginnt auch so traurig wie das vorangegangene Album aufgehört hat. Nur der Text von Right Now schreit irgendwie nicht mehr „Sehnsucht“, sondern „Vernunft“: „So I won’t cry or collapse, overwhelmed. Time like a song just migt rhyme with itself.“ Zeit heilt alle Wunden, nur ein bisschen lyrischer ausgedrückt. Trotzdem wird es erst danach so richtig fröhlich.

Break-Thru ist der Hit auf dem Album, durch quietschende E-Gitarre, Interludes mit Streichern und wieder so einer eingängigen Melodie wie schon bei Blue Bird. That’s A Lifestyle ist deutlich langsamer und nicht so elektronisch, weil Longstreth im Großteil des Songs an seiner Akustikgitarre herumzupft. Dadurch verbreitet der Song griechischen Charme und klingt nach einem Abend mit Bier, Pita und Humus an der Marina von Piräus. Auf I Feel Energy packen Dirty Projectors den Big Band Sound aus, dazu singt Longstreth so hoch und energiegeladen, dass es wie nach einem Song von Justin Timberlake klingt. Es folgt – mal wieder – der komplette Gegensatz: Zombie Conquerer hat ein einfaches, raues Gitarrenriff als Unterlage. Es ist das Modell Wacken auf Lamp Lit Prose. Nächster Track: Blue Bird.

Sechs von zehn Songs gehört, alle so verschieden, nur die fröhlichen Melodien in jedem einzelnen vereinen die Tracks. David Longstreth hat das so gewollt. „Es ist ein bisschen wie bei Game Of Thrones. Der erste Song setzt nicht nur die Zeichen für den Rest des Albums, er muss auch als ein ‚Das ist beim letzten Mal passiert’-Reminder funktionieren“, erzählt er in einem Interview. So eine Staffel von Game Of Thrones hat zum Ende immer ein krasses Ereignis, dass richtig Bock auf die nächste Staffel machen soll. Das gelingt Dirty Projectors allerdings nicht. (I Wanna) Feel It All, der zehnte Song auf Lamp Lit Prose, hat einen jazzigen, sphärisch verträumten Sound, und kommt mit wenig Text aus, in dem Longstreth darüber singt, dass er sowohl jugendliche Verspieltheit und Erfahrung durch Reife haben möchte. Das klingt nicht nach Gemetzel und Drachen, als Staffelende von Lamp Lit Prose also ein Flop. Jede einzelne Folge aber ist eine Revolution.

(Julian Beyer, eldoradio*)

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