Cover: Dels - Petals Have Fallen

Dels gilt seit seinem Debüt als kleines Genie der UK-Rapwelt. Spätestens seit Mike Skinner raptechnisch abgedankt hat und sich anscheinend ganz der House-Welt zugeschrieben hat, kann man auch jenseits der Insel seine Aufmerksamkeit wieder auf mehr als einen innovativen Rapper richten. Neben dem vertracktem Ghostpoet – mit dem Kieren Gallear, so heißt Dels im bürgerlichen Leben, bereits zusammengearbeitet hat – zählen vor allem Big Data Kate Tempest und die Young Fathers (aus Edingburgh) zu den innovativsten Rap-Acts, die sich das Attribut "genre-übergreifend" gar nicht mehr auf die Fahne schreiben müssen, weil flüssige Konturen im Rap für sie ohnehin eine Selbstverständlichkeit sind. Und genau das gilt natürlich auch erneut für deren Label-Kollegen Dels, dessen neues Album man auf keinen Fall verpassen sollte.

Der insistiert weiterhin auf einer echten Band und setzt auf handgemachte Beats, die nach einer Fusion von den Roots und New Order klingen sollen. Ob das eventuell einer der Ratschläge von Radio-DJ-Legende John Peel war, der den jungen Rapper damals in seine Sendung einlud? Oder doch Joe Goddard von Hot Chip, der sich schon früh für den Rapper interessierte? Wie dem auch sei, Name-Dropping hat Dels ohnehin nicht nötig.

"Petals Have Fallen" könnte sich definitiv als das mit innovativste Hip-Hop in diesem Jahr bewerben lassen. Düster grimmige Synthies auf "Fall Apart", bei dem Dels flowtechnisch brilliert und ein wenig nach 50 Cent klingt, um nach Blitzsekunden Silentium im anderen Modus weiter zu rappen. "House Of Commons" beweist kompositorische Vielseitigkeit und mischt in das Beat- und Pad-Tunes-Geflecht selbst verträumte Klavier-Passagen, die auf dem ganzen Album einen zentralen Part einnehmen.

Neben elektronischen Skizzen wagt sich Dels aber auch in verträumt souliges Terrain, für das im Falle von "Burning Beaches" produktionstechnisch niemand Geringeres als einer der Modern-Soul-Begründer Kwes verantwortlich ist. Höhepunkt ist das romantisch neblige "You Live In My Head", das sich in einer leichten entrückten Dub-Struktur präsentiert. Ebenso das verknotet fransige "Bird Milk", auf das der eigentliche Querdenker Pharell Williams in N.E.R.D.-Zeiten stolz gewesen sein dürfte, als er sich noch nicht mit beliebigem Soulpop zufriedengab. Dels macht Rap, der zwar nicht immer unmittelbar "happy" macht, aber stets zum erneuten Konsum motiviert, weil man spürt, dass es hier eine Menge zu entdecken gibt.

Abgesehen davon, dass die temporeicheren Nummern für energetische Live-Performances nahezu prädestiniert sind, überzeugt Dels auch in den leiseren Momenten. Dels, der Childisch Gambino der UK. Auch wenn er nicht immer die Qualität des spannungsgeladenen Narrativs von Mike Skinner erreicht, nimmt man ihm sogar kontemplative Zeilen wie "Oh, I am lost in words, I can´t believe, I´m writing this verse" ab, die im wohl persönlichsten Track "Lost In Worlds"  nicht einmal für kurze Zeit aufgesetzt wirken. Dels, das Wunderkind oder besser:  Dels das Musterbeispiel dafür, dass sich Flow, inhaltliche Tiefe und musikalische Innovation keineswegs ausschließen müssen.  Doch bleiben wir realistisch. Die Zukunft wird zeigen, ob Dels´ mit seiner Selbsteinschätzung Recht behält: "I´m a walking contradiction". (Philipp Kressmann, CT das Radio)

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