Örvar Smárason - Light Is Liquid

Örvar Smárason war in seinem früheren Leben bestimmt eine Fledermaus. Die hat in der Tierwelt das beste Gehör, und kann mit ihren trichterförmigen Ohren Geräusche und Nuancen wahrnehmen, die der Mensch zum Beispiel nicht hören kann. Nun hat Örvar Smárason keine auffällig abstehenden Ohren. Sein Gehör könnte, nein, muss trotzdem etwas Besonderes sein. Wie sonst würde er auf diese vielen Effekte, Geräusche und Klänge kommen, die er auf seinem Debüt Light Is Liquid kombiniert und verstärkt, und so erst für uns Sterbliche hörbar macht?

Wie es klingt, wenn Regen auf ein Dach prasselt oder wenn ein Staubsauger etwas ansaugt, das wissen wir selbst, dafür brauchen wir Örvar Smárason nicht. Im Song Tiny Moon werden diese beiden Geräusche aber vereint, dazu kommen ein Beat aus Drums und etwas, was sich nur als Weltraumpiepen beschreiben lässt (hier sei der Film E.T. für ein besseres Verständnis empfohlen), und eine weibliche Stimme, die einem „Tiny Moon between my fingers“ ins Ohr haucht. Örvar Smárason beschreibt uns also eindrucksvoll, wie es sich anhört, wenn er bei strömendem Regen im Weltall auf dem Mond staubsaugt…

Auf Burning Curtains sind es umherrollende Murmeln auf Parkettboden und ein Lachen, das klingt als wäre Alexa von einer Hexe geschluckt worden. Auch dazu gesellen sich wieder wechselhafte Beats, der Sound aus alten Arcade-Games und Synthies. Der Gesang ist wie auf den restlichen Songs von Light Is Liquid verzerrt, verhallt, mit Auto-Tune überzogen und verdoppelt und verdreifacht, sodass eine Stimme nach zig Stimmen klingt.

Örvar Smárason hat schon immer elektronische Klangwelten erschaffen.  In seinem Heimatland Island ist er bekannt als Mitglied der Band múm, die ähnlich wie auf seinem Debüt Experimente im Vermischen von Geräuschen durchführt. Örvar Smárason kann aber auch deutlich massentauglicher sein, das zeigt sein Engagement bei der poppigeren Band FM Belfast. Light Is Liquid hat keine großen Hymnen. Vielmehr ist es ein unglaublich versierter, durch die sphärische Atmosphäre aber genauso bescheidener Solo-Auftritt, der nicht den Anspruch erhebt, auf Indiepartys oder in Szenelokalen zu laufen.

Dieses Ruhige untermalt bereits der Einstieg ins Album. Auf dem ersten Song Photoelectric besteht der Text aus zwei Sätzen. Da aber jede Silbe einzeln und dazu noch sehr behäbig ausgesprochen wird, füllt Örvar Smárason damit knapp vier Minuten - und das ist gleichzeitig ein großes Problem.

Die Fledermaus ist nämlich nicht gerade dafür bekannt, ein behäbiges Tier wie etwa der Koala zu sein. Fledermäuse hängen zwar wie Faultiere von der Decke, die meiste Zeit fliegen sie allerdings hektisch und kreischend durch die Nacht. Die anfängliche Theorie der Reinkarnation von Örvar Smárason (Fledermaus - Mensch) ist also nur noch schwer begründbar. Im sphärischen Lied Photoelectric gibt es zudem eine instrumentale Sequenz von 25 Sekunden, bei der er beweist, dass er auch genau so gut ein Tintenfisch im früheren Leben gewesen sein könnte. Örvar Smárason verlangt von seinem Drumcomputer nämlich so viel ab, dass den Kampf eigentlich sowohl Finger als auch Maschine nicht überleben können - es sei denn man hatte mal mehr als zehn Finger.

(Julian Beyer, eldoradio*)

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