Albumcover: Jenny Lee - right on!

Als die kalifornische Band Warpaint im Jahr 2014 ihr gleichnamiges zweites Album veröffentlichte, stand die Musikwelt Kopf. Von den Musikmagazinen als die neuen Göttinnen des atmosphärischen Dream Pops bezeichnet, von neuen und alten Fans als Album des Jahres betitelt – der experimentelle Sound der vier Damen aus Los Angeles schien eine Lücke zu füllen, die Bands wie die Cocteau Twins und Siouxsie and the Banshees nach ihrem Ableben hinterlassen haben. Jetzt hat Bassistin Jenny Lee Lindberg als jennylee ihr erstes Solo-Album veröffentlicht – und plötzlich erkennt man ihre Fingerabdrücke, die den Sound von Warpaint ausmachen.

Ihr Debüt nennt Lindberg „right on!“ – das ist nicht nur eine ihrer Lieblingsphrasen, die sie als lebensfreudige Macher-Person zeigt, sondern ihr eigenes Fazit über ihre Arbeit am Album. Nachdem sie sich lange nicht getraut hat, ihre privatesten Gedanken und Ideen als eigenes Werk zu präsentieren, konnte sie ihre selbst auferlegte Unsicherheit überwinden und weist ein Album auf, das – trotz der unvermeidbaren Vergleiche mit Warpaint – locker für sich steht. Lindberg bringt offen ihre Einflüsse ein, mit denen sie aufgewachsen ist: Depeche Mode, The Cure, New Order oder die oben genannten Siouxsie and the Banshees. Sie trifft damit diesen speziellen New Wave-/Goth-Sound, der jeden Song besonders voll und dicht klingen lässt, ohne wie ein Abklatsch zu wirken.

Dabei beginnt right on! shoegaziger und schleppender als die beiden bisherigen Alben ihrer Band: Blind fühlt sich unglaublich schwer an; ein tragender Bass zieht sich ohne Rücksicht auf ein vorgegebenes Tempo humpelnd durch den Hall von Lindbergs intimer, hauchiger Stimme. Während ihr Gesang im Bandkontext bisher im Hintergrund blieb, zeigt Lindberg im Opener des Albums entgegen ihrer vorherigen Unsicherheiten: Hier geht es um mich, und ich bin zufrieden mit meiner Stimme.

Lindberg hat auf ihrem Debüt den Großteil der Saiteninstrumente selbst eingespielt, gerade ihr Bassspiel ist unverkennbar und stark im Vordergrund. In boom boom treibt der Bass wie ein nervöses Hämmern durch den Track und lässt nur vereinzelt locker, um sich von flächendeckenden Gitarren unterstützen zu lassen. Besonders repräsentativ für den Sound von right on! ist never, der auch vor dreißig Jahren in jedem Goth-Club gepasst hätte. Die treibenden Drums werden vom Stakkato vereinzelter Gitarrentöne begleitet, die mit einem so satten wie wunderschönen Chorus-Effekt versehen wurden, dass The Cure neidisch würden. Die Melodiösität der Strophe wird im Refrain unterbrochen, der so willkürlich und spontan klingt, wie man Lindberg selbst einschätzen möchte.

Trotz Solo-Platte ließ Lindberg es sich nicht nehmen, auch alte Bekannte einzuladen, wie etwa die herausragende Warpaint-Schlagzeugerin Stella Mozgawa. Die durfte nicht nur vereinzelt das Schlagzeug bedienen, sondern zeigt sich auch für den schleppenden Elektro-Beat bei he fresh verantwortlich: Fast R’n’B-mäßig und in jedem Falle gediegen meandert der Track gemütlich und melancholisch durch die Luft und zeigt sich gerade in seiner Unaufdringlichkeit so attraktiv. Besonders hier kommt Lindbergs Stimme im Chor zum Vorschein, und besonders hier hört man deutliche Parallelen zu Warpaint – es wird deutlich, wie wichtig Lindberg für den Sound ihrer Band zu sein scheint.

Right on! ist ein stolzes Debüt, das zeigt, wovon die Künstlerin dahinter inspiriert wurde. Der üppige New Wave-Sound ist bedacht, aber deswegen nicht weniger ehrlich; das Album bleibt experimentell und trägt den unverkennbaren Abdruck Lindbergs. Dadurch passt es besonders gut zu verregneten Nicht-Wirklich-Winter-Tagen oder müden Abenden der Melancholie. Lindbergs Soloplatte ist eine gute Überbrückung bis zum neuen Warpaint-Album, aber es ist mehr als nur ein Ersatz für etwas anderes – es steht bequem auf eigenen Beinen und scheint sich dort wohl zu fühlen. (Sebastian Seifert | Campus FM)

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