Cover: Clipping - CLPPNG

643 tote Hi-Fi-Puristen. Das ist die unrühmliche Bilanz jenes Debüts der L.A.-Truppe Clipping, das sich vor zwei Jahren anschickte, puren Wahnsinn zu verbreiten. Mit vollends übersteuerten Tönen jenseits der Skala dessen, was genuin als Musik angesehen wird, zogen sie in den Kampf gegen das akustische Fast-Food, an dem Hip-Hop zu verfetten drohte. Enervierendes Geräusch, akustischer Lärm und skelettierte Beats stehen bei Clipping dabei gleichermaßen in der Traditionslinie des Punks und der akademisch situierten Klangforschung von Noise und abstrakter Musik. Beide teilen die Ablehnung von Bestehendem, sind aber in ihrem Gestus zwischen brennender Wut und verkopfter Theorie grundverschieden.

 Gleichzeitig haben sich Clipping mit ihrem experimentellen Klang bereits zum Anfang ihrer Karriere in eine wohlfeile Sackgasse manövriert: Denn Übersteuerung als ästhetisches Statement war spätestens auch seit dem unnötigen zweiten Sleigh-Bells-Album schon wieder überholt. Entsprechend tut das Dreigespann gut daran, nur im extremen Intro ihres zweiten Albums ein erneutes Ausrufezeichen der Kompromisslosigkeit zu setzen, bevor es nicht minder rasant, jedoch durchaus hörbarer zugeht. Songs aus dem Inneren eines überlasteten Faxgerätes oder amoklaufenden Zaunarztbohrern gehören der Vergangenheit an, auch wenn beispielsweise “Get Up” ein Alarm-Sample derart unverschämt breit grinsend drei Minuten durchfiepen lässt, bis die Grenze zur Ironisierung der eigenen künstlerischen Herangehensweise meilenweit überschritten ist. Überhaupt, wenn dieser Song bis zum letzten Aufbäumen die Vollendung der zuckersüßen Refrainmelodie hinauszögert, zeugt dies vom Anspruch, der “Clppng” durchzieht: Sie schaffen sich ihre eigenen Regeln - Anbiederung gehört ganz sicher nicht dazu.

Das explosive “Body und Blood” beispielsweise basiert auf einem metallischen Sample. Scharfkantig, unnachgiebig. Clipping übersteuern Details im Hintergrund, geben dem Track noch mehr Dringlichkeit und bieten so dem düsteren Rap genug Reibungsfläche, um sich gegenseitig aufschaukelnd akustisch zu verprügeln. Es geht um Sex und Macht. Die Beats sind dabei oft nackte Aneinandereihungen von akustischen Verrenkungen, Dekonstruktionen von Lärm oder zerklüfteten Widerhaken, die zu gleichen Anteilen aber mit höchst einprägsamen wie melodischen Bässen oder Samples verflochten werden. „Work Work“ klimpert störrisch zunächst voran, nimmt aber mit einer dumpf-tänzelnden Bassline Fahrt auf, die jeden Lowrider von alleine freundlich hopsen lasen.

Hip-Hop war schon immer eine Welt des Entgrenzten und Maximalen. Der zielstrebige Hang zu Superlativen (Cribs, Girls, Bling) ist genuines Merkmal eines Genres, das sich über den Vergleich, das gegenseitige Überbieten und im einem perversen Umkehrschluss auch über die Abwertung definiert: Der größte Player wird man nur, indem man allen anderen ans Bein pinkelt. Clipping jedoch versuchen erst gar nicht, dem üblichen Ghettogehabe ihre Gaben darzubringen, was angesichts ihrer Herkunft auch als peinlicher Täuschungsversuch zu werten wäre. Denn Clipping, das sind zwei studierte, bleichgesichtige Nerds an den Konsolen und Pedalen mit theaterperformativen und kompositionsmusikalischen Hintergründen sowie ihre mediale Projektionsfläche, ihr Gesicht, Frontmann Daveed Diggs. Schwarz, überlegen sympathisch, perfekt definierte Muskeln inklusive. Gegensätze sind hier konzeptuelle Grundanlage weit über das Musikalische hinaus.

Ein wenig irritierend und bisweilen schade ist es, dass die Drei nicht ihre intellektuellen Fähigkeiten auch in einschleifend relevante Texte verpacken und jegliches Politische zu vermeiden versuchen. Wirklich plump werden ihre genreaffinen Lyrics zwar nie, jedoch würde es gerade einem Projekt wie Clipping gut zu Gesicht stehen, ihre innovative Strahlkraft auch als Erfüllung eines Versprechens zu nutzen, was mit Public Enemy began und jüngst mit den unkonventionellen Drastiken der Jungs von Death Grips seine Erneuerung fand. Tracks wir „Story 2“ mit angezogener Dramen- und Geschwindigkeitsschraube oder die demente Vision „Dominoes“ zeigen, was möglich gewesen ware, würden die Gefilde des Selbstzwecks öfter einmal verlassen. Auch „Inside Out“, dieses unheilvolle Straßengewalt-Epos, zeigt beispielhaft die Experimentierfreude, Energie und Fähigkeit dieser Truppe, lyrische und akustische Brutalität zu vereinen. Diggs rappt dabei mit einem dunklen, hungrigen, jedoch trockenen Flow und zeigt auch live, dass seine Zunge jeglicher Geschwindigkeit gewachsen ist. Stimmlich zumindest, wie man erst Ende Mai auf Deutschlandtour feststellen durfte.  Oft jedoch verharren die Songs im uneindeutigen Spannungsfeld zwischen Teilhabe, Beobachtung und Umdeutung gesetzter Hip-Hop-Parameter. Das gelingt bisweilen unterhaltsam durch dadaistische Übersteigerung und dem überzeichneten, fast karikierend schonungslosen Beatgerümpel. Textlich wirkt das jedoch nicht ebenbürtig schlüssig, auch wenn beim grauenvollen „Tonight“ der Diskofick-Aufforderung ein paar, fast schon entschuldigend wirkende, Gleichberechtigungsverse durch einen weiblichen MC entgegengestellt werden.

Nichtsdestrotrotz gehört “Clppng” zu den herausragenden Releases des Genres in diesem Jahr. Auch gerade, weil die schonungslosen Störfeuer von “Midcity” durch Vielseitigkeit abseits konventioneller Routen  ersetzt wurde, während weiterhin Erwartungen mit Ernsthaftigkeit unterlaufen werden. So gibt es hier keine Trap-Sequenzen, keine säuselnden R’n’B-Vocals, die als maximalromantisches Stimmungsviagra dienen. Clipping inszenieren sich als Verweigerer, die der Hörer auf der Suche nach ihrer eigenen Identität erlebt – während sie weiterhin skeptisches Gelärme jeglichem Konformismus vorziehen. (Markus Wiludda)

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