Anna Calvi - Hunter

Mit der Musik hat man so ziemlich unbegrenzte Ausdrucksmöglichkeiten. Sie kann Gefühle vermitteln, eine politische oder sozialkritische Message verbreiten oder auch einfach nur Spaß machen. Für Anna Calvi ist sie auf ihrem dritten Album Hunter vor allem eines: ein Befreiungsschlag.

Seit ihrer Jugend hat Anna Calvi nämlich mit ihrer Geschlechteridentität gehadert – und das hört man deutlich. In Songs wie As A Man bricht sie mit ihrem düster-theatralischen Pop-Gesang die Genderrollen auf. Bei Chain wechselt sie im Refrain immer wieder zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit („I’ll be the boy you be the girl I’ll be the girl you be the boy I’ll be the girl“). Anna Calvi stört es einfach, wenn den Geschlechtern bestimmte Eigenschaften zugewiesen werden – sie möchte lieber die Möglichkeit haben, alles sein zu können, sagt sie in einem Interview: „Wenn ich Gender nicht als feste Zuschreibung verstehe, sondern als ein Spektrum an Sexualität, innerhalb dessen du wählen kannst, womit du dich wohlfühlst, dann kann ich mich damit arrangieren, eine Frau zu sein, ja, sogar, mich darin wohlfühlen.“

Wer auf Zurückhaltung erwartet, ist bei Anna Calvi fehl am Platz. Bei Live-Performances rekelt sie sich auch schonmal verführerisch auf dem Bühnenboden. Ihr geht es nicht um Kontrolle, sondern um das Loslassen, das Entfesseln von etwas Unterdrücktem, Animalischem im Menschen. Das kann für den Hörer oder die Hörerin dann auch mal etwas unbequem werden, besonders bei Alpha. Calvi legt auf ihren sonst schon dramatischen Gesang mit sehr deutlicher Atmung noch eine Schippe drauf. Zusammen mit Fingerschnipsen à la „Fever“, einem lärmenden Gitarrensolo und einem wenig subtilen Songtext („I wanna know if I can satisfy / I wanna know are you satisfied“) ergibt sich eine Mischung, die vielleicht etwas übers Ziel hinausschießt.

Diesem extremen Pathos hat Anna Calvi nämlich gar nicht nötig. Tracks wie Swimming Pool beweisen, dass sie die leiseren Klänge genauso beherrscht. Ihre getragene Stimme erzeugt dabei die Vorstellung vom gemächlichen Treiben im Wasser. Mit Eden und Away haben es am Ende sogar noch zwei Balladen auf Hunter geschafft. Sie zeigen Calvis verletzliche Seite und darum geht es ihr schließlich mit diesem Album: sie möchte deutlich machen, wie vielseitig ein Mensch sein kann, ohne sie oder ihn auf das jeweilige Geschlecht zu reduzieren. Auf Instagram schreibt sie dazu: „The intent of this record is to be primal and beautiful, vulnerable and strong, to be the hunter and the hunted.“

(Jacqueline Winkler, CampusFM)

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