Cover: SOHN - Rennen

2016 ist vorbei, wir begrüßen 2017 mit offenen Armen: Nach Brexit, Trump und viel zu vielen mutwilligen Gewalttaten kann das nächste Jahr nur besser werden. Oder? Christopher Taylor alias SOHN hat anscheinend seinen Optimismus verloren, denn jetzt müssen wir erstmal die Scherben aufsammeln. Im Interview mit The Skinny seufzt er: “We’re all fucked, man.”

Auf seinem zweiten Album Rennen beschäftigt sich Taylor ausgiebig mit diesen ungemütlichen Themen. Bis 2014 lebte der Musiker aus London in Wien, und die fantastische Single Conrad beschreibt, wie 2016 die stark rechts angesiedelte Freiheitliche Partei Österreichs die relative Mehrheit im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl Österreichs erreichen konnte – “I can feel it coming / We can never go back” wiederholt Taylor in einem treibenden Beat, der im richtigen Licht fast schon an Justin Timberlake erinnert. Taylor, der inzwischen in Los Angeles lebt, konnte zudem die amerikanische Präsidentschaftswahl miterleben und basierte den Song Primary auf dieser Erfahrung: “Nobody seems able to make a change / And I can’t believe we’re not better than this”.

Primary dient außerdem als Paradebeispiel für die bewegungsorientierte Entwicklung, die SOHN auf Rennen darlegt. Während der Tour zu seinem ersten Album Tremors begleitete ihn die Band WhoMadeWho, und Taylor war begeistert davon, wie seine Songs mit einem Schlagzeuger klangen, wie sie sich plötzlich bewegten. Nun klickt und klackt und rüttelt es auf Rennen viel dynamischer, und generell klingt dieses Album deutlich inspirierter als der Vorgänger. Wo Tremors herrlich synthetisch war, zeugt Rennen von einem Indie-Electronica-Popgefühl, das sich Taylor durch seine Arbeit mit und für Künstler wie Lana del Rey oder BANKS aneignen konnte.

Trotzdem gibt es sie noch, diese emotionalen Momente bei SOHN. Das ruhige Still Waters lässt den Raumhall wie Wellen zusammenkrachen, während es langsam wie ein Bluessong durch den Raum mäandert. Der Titelsong Rennen geht gegen den hektisch-anmutenden Titel und minimalisiert SOHN auf Klavier und Taylors einzigartiges Falsett - generell schleicht sich Taylors beeindruckende Stimme auf dem neuen Album deutlich in den Vordergrund. Der Opener Hard Liquor, den Taylor als seinen “nacktesten Moment” bezeichnet, klingt so immens anders als das Debütalbum und macht von Anfang an klar, womit wir als Hörer es auf dem neuen Album zu tun haben werden - eine Entscheidung, vor der Taylor vor drei Jahren noch zu viel Angst gehabt hätte.

Mit Rennen präsentiert sich SOHN selbstbewusst und startet das Jahr trotz der Strapazen von 2016 optimistisch. Denn das letzte Jahr hatte auch sein Gutes: Taylor ist inzwischen glücklicher Ehemann und Vater, lässt sich von seiner Frau und seinem Kind inspirieren und motivieren. Im selben, eingangs erwähnten Interview sagt Taylor: “I feel that 2017 is probably going to be a chance, for me and a lot of people, to start afresh.” Besser als mit Rennen kann man 2017 nicht starten. (Sebastian Seifert, CampusFM)

 

 

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