Cover: Trümmer - Interzone

Es gibt Bands, denen will man sich verweigern: „Trümmer? Puh, doch irgendwie noch eine mehr von diesen Post-Hamburger-Schule-Bands, die eigentlich gern kitschige Texte machen wollen, das Ganze aber hinter einer 'Haltung mit Anspruch' als höhere Kunst verstecken.“ Stimmt leider nicht. Das neue Album Interzone ist offensiv kitschig, ehrlicher als Wanda und spannender verpackt als jeder Hit von Milliarden. Es scheppert weniger als auf dem Debüt, die jugendlich kieksende Stimme von Paul Pötsch tritt in den Vordergrund und hier und da nehmen Trümmer sogar auch mal einen Gang raus.

Trotzdem will Pötsch das zweite Album Interzone nicht als „poppiger“ bezeichnet wissen. „Das wirkt vermutlich so, weil wir Wave, Disco, Rock, Punk und sogar Blues zu dem vermischen, was uns gerade gefällt“, erklärt er im Interview mit der SPEX. Kommt hin. Das vorherige selbstbetitelte Debüt Trümmer erschien vor zwei Jahren beim Label PIAS. Der direkte Hörvergleich funktioniert als Lehrstück, um herauszufinden, wie ein Album live eingespielt (Trümmer) klingt oder wenn die Musiker im Gegensatz einzeln in die Studio-Kabine wandern (Interzone).

Was gleich geblieben ist? Paul Pötsch und seine drei Trümmer-Kollegen spielen aus der Mitte unserer Generation heraus. Sie beim Hören zwischen der Lust am Kontrollverlust, Kritik für die Massen und der Freude an der Liebe. Dabei hinterlässt Interzone uns nachdenklich, aber niemals deprimiert. Eher euphorisiert und auf dem Sprung zu etwas Großem. „Die Leute haben unfassbare Angst vor sich selbst und sind mehr denn je auf externe Bestätigungen wie zum Beispiel ein Diplom oder einen Masterabschluss angewiesen. Erst das empfindet man als Legitimation, an sich zu glauben“, sagt Pötsch im Interview genauso wortgewandt wie auf Platte und trifft damit den Nagel der Generation Y auf den Kopf: „Der Ausbruch ist Teil der Eingliederung geworden. Das ist doch eine öde Form von Biografie.“

Den „echten“ Ausbruch besingt Pötsch im Opener Wir Explodieren mit Mut zum Kitsch: „Wir sind die Kinder, vor denen uns die Eltern warnten. (…) Komm, wir explodieren in den aller schönsten Farben.“ Eine glänzende Pop-Nummer voller Lebensfreude. Offensiv geklagt wird bei Trümmer seltener. Wenn doch, dann rutscht die Haltung nah an einen Love-A-Pranger für die spießigen Nachbarn heran: „Lasst mich in Ruhe mit eurer Ruhe“ heißt es in Schöne Grüße aus der Interzone.

Aus der Reihe tanzt auch der Europa Mega Monster Rave. Mit Filter auf der Stimme, abgedämpften Gitarren und ewiger Repitition der Zeile „L’amour toujours – L.O.V.E.“ geht der Song uns an die Nerven (die im Kopf, nicht die auf Platte). Er ist das düsterste und fetteste Stück auf dem Album, zeigt aber die Spielfreude und den Experimentierdrang der Band. Der Rave Erinnert an den Song Eiskunstlauf ohne Ton mit dem die Band damals sicher einige HörerInnen vor den Kopf stieß, in anderen aber das gruslige Entzücken heraufbeschwörte. So in etwa dürfte das mit Trümmer-Fans und dem Europa Mega Monster Rave auch laufen.

Das Album Interzone bringt Trümmer konsequent voran. Sie trauen sich Experimente zwischen Off-Beat, Jazz-Anleihen und dicken Verzerrern, klingen trotzdem wie aus einem Guss und nageln sich selbst auf ein Thema fest: Wie fühlt sich Freiheit an? Damit klingt Interzone wie eine verknallte, verdrogte Nacht in der Großstadt – nur du und ich, nur die Musik.

(Nele Posthausen | eldoradio*)

 

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