Noga Erez - Off The Radar

Noga Erez macht Popmusik, daran besteht kein Zweifel. Aber nicht die Sorte Popmusik, die eine heile Welt projiziert und die Sorgen vergessen macht, sondern einen in knallharte Fakten und Beats verpackten Entwurf von kontemporärem Pop. Denn Reflexion, Nachdenken, Spaß und ein wenig Eskapismus sind für die israelische Newcomerin keine Gegensätze.

"They keep running over me / The keep running after me." Zeilen wie diese machen die Bedrohung auf Noga Erez' Debütalbum Off The Radar sofort pür- und hörbar. Während sich im Überhit Dance While You Shoot gewehrsalvenartige Hits als Soundelemente unter die martialischen Beats mischen, fragt Erez: "Can you dance while you shoot?" Die innen- und außenpolitischen Spannungen ihrer Heimat lassen die 27-Jährige alles andere als kalt. Und obwohl ihr zu Beginn ihrer Karriere von vielen Seiten geraten wurde, sich nicht zur israelischen Politik zu äußern, tut sie genau das - mit Nachdruck.

Statt wie früher gepflegte Isolation zu üben und die Außenwelt sich selbst zu überlassen, thematisiert Noga Erez heute die Themen ganz direkt. So zum Beispiel den Gerichtsprozess zu einer mit Smartphones gefilmten und im Internet verbreiteten Gruppenvergewaltigung (Pity), die Angst vor Anonymität und dem Vergessenwerden (Off The Radar), permanente Selbstzweifel (Worth None) oder die allgemeine Nervosität und Gereiztheit der Welt (Global Fear). Aber auch die inhaltsarmen Interludes wie Quiet One oder Hit U sind kein bloßes Beiwerk, sondern soundtechnisch interessante Einwürfe. Und in Muezzin wird in das sperrige Klangbett ein gevocoderter Muezzingesang gelegt.

Gemeinsam mit ihrem musikalischen Partner Ori Rousso mischt Erez Trap- und Dancehall-Elemente mit Autotuneeffekten und Beats á la Kendrick Lamar und Hudson Mohawke. Damit verstärken die beiden die jeweilige Message der Songs um ein Vielfaches. Die Vehemenz, mit der die Bässe auf das Zerchfell drücken und die Beats ins Ohr schnalzen, unterstreicht den Rundumschlag an die Beschissenheit der Dinge. Denn es gibt mehr als genug, über dass es sich aufzuregen gibt - nicht zuletzt als Frau in einer patriarchalisch geprägten, misogynen Welt. Auch deshalb wird Noga Erez gerne mit Künstlerinnen wie FKA Twigs oder M.I.A. vergleichen. Erez sieht diese Parallelen aber vor allem darin begründet, dass sie innerhalb der von Männern dominierten Welt Power zeige. "Vielleicht macht mich allein das zu einer Feministin", sagt Erez im Interview

Off The Radar lässt nach 40 Minuten atemlos zurück. Um die thematische Schwere und den massiven Sound zu verarbeiten, sind kleinere Dosen der Platte zu empfehlen. Denn so eingängig ihr Popentwurf mitunter auch ist: Sein Detailreichtum verlangt beim Hören einiges ab. Ohne Frage ist Noga Erez jetzt schon einer der ganz wichtigen Namen in diesem Jahr. Die drei Jahre lange Arbeit an ihrem Debüt hat sich mehr als gelohnt.

Benedict Weskott (CT das radio)

____________
Der Silberling der Woche ist eine Kooperation der Campusradios
CT das radio, Campus FM und eldoradio* unter dem Dach der Campuscharts.
Daher findet ihr hier jede Woche eine Rezension zu einem besonders interessanten Album, wechselweise von den Musikredaktionen dieser drei Campusradios verfasst.
Checkt auch: www.silberlingderwoche.de

RÜCKSCHAU

KW 35/2023
Slowdive Everything Is Alive
KW 34/2023
Genesis Owusu Struggler
KW 23/2023
Christine and the Queens ANGELS, PARANOÏA, TRUE LOVE
KW 06/2023
Young Fathers Heavy Heavy
KW 05/2023
King Tuff - Smalltown Stardust
King Tuff Smalltown Stardust

ARCHIV

WOCHE Künstler/Band NAME DES ALBUMS/SONGS MUSIKLABEL
KW 20/2019 Rosie Lowe YU Caroline
KW 44/2016 NxWorries Yes Lawd! Stones Throw
KW 27/2014 Luke Abbott Wysing Forest The Border Community
KW 28/2016 The Avalanches Wild Flower XL Recordings
KW 21/2015 Hot Chip Why Make Sense? Domino Records
KW 50/2017 Noel Gallagher’s High Flying Birds Who Built The Moon? Indigo
KW 29/2015 White Reaper White Reaper Does It Again Polivinyl
KW 15/2015 Young Fathers White Men Are Black Men Too Big Dada
KW 12/2018 Gengahr Where Wildness Grows Transgressive Records
KW 16/2019 Billie Eilish When We Fall Asleep Where Do We Go? Darkroom/Interscope Records