Die Nerven - Fake

„Finde niemals zu dir selbst - Niemals, niemals, niemals“. Die Miesepeter von Die Nerven zeigen einmal mehr, warum sie in Sachen schlechter Laune eine Vorreiterrolle in Deutschland haben. Die Größe von Fake zeigt sich nicht nur in seiner textlichen Finesse, sondern auch in seinen ausgefeilten Songstrukturen.

Beeindruckend ist dabei vor allem, mit welcher Selbstverständlichkeit die Band Genres vermischt und ein vielfältiges Klangbild gestaltet. Noise-Bretter (Aufgeflogen, Skandinavisches Design) wechseln sich mit Punk-indiziertem Indie-Rock (Niemals) ab und umrahmt wird das alles vom klassischen Laut-Leise-Spiel, dem die Band schon in der Vergangenheit nacheiferte. Textlich machen Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn übrigens auch genau da weiter wo sie zuletzt aufgehört haben.     

Ein Konglomerat aus Nihilismus, Pessimismus und Ekel vor der Welt und der eigenen Existenz zeigt sich in kryptischen Textbausteinen, die mit weitaus mehr als einer jugendlich-naiven „Alles ist doof“-Haltung aufbegehren. Bei Die Nerven klingt weniger die Revolte durch, als vielmehr eine introspektive, fast schon resignative Grundhaltung. Ausnahmen wie Frei gibt es natürlich, das den musikalischen Ausbruch dann wieder mit Textzeilen wie „immer nur dagegen/aber gegen was“ untergräbt.

Schlecht gelaunt sind sie also immer noch, Die Nerven. Das in Explosionen beschriebene Endzeitszenario verdeutlicht nicht nur die miese Stimmung, die der Band nachgesagt wird, sondern ist auch von einer tiefen Melancholie gezeichnet: „Lass alles brennen/lass alle rennen/bis auch der Letzte versteht/dass die Erde sich dreht“. Musikalische Eingängigkeit und textliche Apokalypse vereinen sich zu Bildern, auf die nur noch mit einem zynischen Lächeln reagiert werden kann. „Es bricht über uns herein/die Explosionen/wir waren dabei“ – selbst der Weltuntergang wird hier zum Event.

Skandinavisches Design fasst die Schizophrenie der Konsumgesellschaft in wenigen Worten zusammen: „Skandinavisches Design und Depressionen“ prägen den Alltag, so Rieger. Die Nerven spielen immer wieder mit solchen Ambivalenzen. In musikalischer Hinsicht wird das deutlich, wenn die Songstrukturen zwischen den Extremen pendeln und laute Ausbrüche auf leise Momente folgen. Stücke wie Dunst und Aufgeflogen treiben dieses Spiel auf die Spitze. Solche Kunstgriffe können auch vollkommen daneben gehen und plump oder gar dilettantisch klingen. Auf Fake ist genau das Gegenteil der Fall.

Positive Antworten auf all die existenziellen Zweifel kann und möchte die Band übrigens nicht geben. Im Titelstück am Ende des Albums nimmt sie sich zwar noch einmal betont zurück und philosophiert mit minimalistischen Arrangements über das Menschsein an sich: „Ich habe Algorithmen die alles erklären/Multiplikatoren um alles zu vermehren/ein Funke im System/the war inside“. Wie mit dieser Tatsache umgegangen werden soll, bleibt allerdings offen; was sich zuerst wie ein versöhnliches Ende anhört, ist also nur ein weiteres Fragezeichen.

(Pierre Rosinsky, CT das radio)

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