Cover: Boy - We Were Here

„Everywhere we went / We made the city sing.“ Das zweite BOY-Album beginnt gleichzeitig vertraut und unerwartet. Das Wiederhören mit Valeskas Stimme steigert direkt die Pulsfrequenz, aber wo das Debüt mit einem Hesseschen „Allem Anfang wohnt ein Zauber inne“-Moment namens „This Is The Beginning“ ruhig startete, gibt sich der Titelsong „We Were Here“ gleich druckvoll und zelebriert Rückkehr und Reminiszenz. BOY haben einiges an Erinnerungen und Erlebnissen aufzuarbeiten, das ist auf dem zweiten Album überall hör- und spürbar. „Everywhere we've been / We have been leaving traces / They won't ever disappear / We were here“, heißt es dann auch im Refrain. Als einer der erfolgreichsten Indiepop-Acts Deutschlands waren die Hamburger Musikerin Sonja Glass und die Zürcher Sängerin Valeska Steiner nach Veröffentlichung ihres Debütalbums viel unterwegs.
Besonders „Little Numbers“ ging durch die Ecke, auf Indiepartys, in der Werbung und im Fernsehen war der Song unüberhörbar. Und unwiderstehlich sowieso, weil der Song Verknalltsein auf eine so zuckersüße wie unpeinliche Weise feiert, dass man Valeska und Sonja einfach nur fröhlich springend durch Barcelona folgen möchte (wo das komplementäre Musikvideo gedreht wurde). In der ersten Zeit nach Veröffentlichung des Albums hatten die beiden kaum Zeit zum Verschnaufen. Erst die kommerziellen Erfolge in ihren Heimatländern (40 Wochen in den deutschen Top 100, Platz 6 in der Schweiz) und zwei ausverkaufte Touren, dann gleich zwei Touren durch die USA und Kanada und der erste Platz der japanischen und dänischen Airplay-Charts.
Zusammengebracht wurden die Musikerinnen beim 2005 beim Popkurs der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Auf den ersten Auftritten als Support (unter anderem für Bosse) verkauften sie bereits ihre Akustik-EP „Hungry Beast“ mit ersten Versionen der Songs „Drive Darling“, „Skin“ und „July“ (sowie „Zapping“ und einem Cover von Ben Folds' „Fred Jones, Pt. 2“), die es in aufgepeppter Produktion von Philipp Steinke auch auf das 2011 erschienene Debütalbum schafften. „Mutual Friends“ bot auf seinen zwölf Songs ein Maß an Identifikationspotenzial und Catchiness, mit dem Sonja und Valeska drei weitere Bands gleich hätten mitversorgen können. Jeder Song passte zu einem Moment, für jede Zeile gab es die richtige Zeit und den richtigen Ort.
Vier Jahren nach diesem Meisterwerk des Indiepop wird die Geschichte jetzt also weitererzählt und dafür braucht es keinerlei Anlaufzeit. Ohne Umschweife ist der BOY-Modus wieder eingelegt. Es ist, als wären sie nie weg gewesen bzw. von der Bühne ins Studio verschwunden. So unüblich die Latenzzeit von vier Jahren zwischen zwei Alben ist, so verschmerzbar ist sie angesichts der neuen Songs dann direkt wieder. Es geht um das Verlorengehen auf Reisen („Hotel“), die Magie von großen Freundschaften ("New York"), eine verträumte Taxifahrt ins Verliebtsein ("No Sleep"), Bekanntschaften und Kommunikation in Zeiten von sozialen Netzwerken („Hit My Heart“) und darum, dass hinter jedem Tunnel ein Licht wartet („Rivers and Oceans“). Vor den Melodien, die diese Texte untermalen, ist kein Gehörgang sicher.
Nach neun Songs und einer guten halben Stunde ist die Reise mit BOY dann leider schon wieder vorbei. Was schon „Mutual Friends“ ausmachte, findet sich auch auf „We Were Here“ wieder: akustischen Instrumentierung und dezente Synthies, infektiöse Melodien und haufenweise schöne Textzeilen. Mehr Opulenz wagen die neuen Songs, aber auch das können BOY. Und vor allem schaffen sie es einmal mehr, ihre persönlichen Erfahrungen in einen universell verständlichen Rahmen einzufassen. Mit Texten, die mit jedem Hören noch mehr sagen. Mit Stimmen, die maximal authentisch klingen und Vertrautheit verströmen. Und mit Musik, die all das nicht nur trägt, sondern noch verstärkt. "Give me something tender, something I remember, a touch, a beat, a wave of heat that hits the heart." (Benedict Weskott | CT das radio)

 

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