Cover: ANOHNI -- Hopelessness

ANOHNI ist sauer. In einem halbseitigen Facebook-Statement kotzt sich die Künstlerin über den Missbrauch von ihr und anderen Transgender-Menschen im amerikanischen Wahlkampf aus. Das tut sie ganz ohne dabei, wie die meisten amerikanischen Künstler, Partei für eine Seite zu ergreifen. Im Gegenteil: hier geht es um eine viel größere Anklage.

Wenn Stimmen androgyn sein können, dann hat ANOHNI die eigene genau in diesen Klangbereich gelegt. In ein düsteres Soundgewandt gekleidet, schwebt sie durch ein Album voll Wut und Verzweiflung. Die Sängerin, die zuvor all ihre Projekte unter „Antony and the Johnsons“ zusammenfasste, ist mit ihrem ersten Solo-Album auf Konfrontationskurs. Es geht gegen Verurteilungen ohne echte Prozesse, gegen den Überwachungsstaat und die Erderwärmung. Die erste Single zu diesem Album „4 Degree“ brachte ANOHNI pünktlich zur Klima Konferenz in Paris unter die Menschen. „I wanna see this world, I wanna see it boil / It's only 4 degrees, it's only 4 degrees//I wanna hear the dogs crying for water/ I wanna see fish go belly-up in the sea”, das ist hämisch böse und schmerzlich taurig. Musikalische Unterstützung bekommt sie von Oneohtrixx Point Never und Hudson Mohawke. Mit super fetten Trommeleinsätzen und emotionalen Streichern ist dieser zweite Track auf “Hopelessness” der wahre Opener des Albums. Er macht die seltsame beschwingte und gleichzeitig bedrückende Schlagrichtung klar.

Während „Watch Me“ dann eher ein echter Dance-Track ist, der den Überwachungsstaat quasi geschmeidig ins eigene Wohnzimmer holt, geht es in „Obama“ musikalisch deutlicher zur Sache. Der Track besteht fast nur aus Wummern, Brummen, Bässen und ANOHNIs Stimme in den dunkelsten Tönen. Jeder Atmer bekommt eigenen Raum und klagt an: Dieser Präsident war der, von dem sie dachte, er würde die Wahrheit sagen. Stattdessen findet ANOHNI nun einen amerikanischen Präsidenten vor sich, der hinrichtet ohne echte Gerichtsverfahren durchgeführt zu haben und die Whistleblower als die, die die Wahrheit sagen, bestraft. Obama ist für sie ein Präsident, der seine Wurzeln verlässt.

Einen Erklärungsversuch für die Gewaltspirale bringt ANOHNI in „Crisis“. Da fragt sie, wie wir uns fühlen würden, wenn sie unsere Eltern mit Drohnenbomben töten würde. Und dann schlägt ANOHNI den Bogen zur eigenen Sozialtheorie: „Now you’re/Cutting heads off/Innocent people“ und sie entschuldigt sich. Vielleicht im Namen einer Nation, vielleicht im Namen dieser Welt, vielleicht drückt sie nur den eigenen Schmerz über die Erkenntnis aus, dass Gewalt Gegengewalt und Drohnenangriffe neue IS-Terroristen erzeugen. In jedem Fall ist dieser Song der musikalische Bruch auf dem Album. Sie leidet, die Stimme bricht und dann dringen helle, fast kitschige 90er-Synthies mit Glockenklängen unter ihren Entschuldigungen hervor. Am Ende rasselt wieder ein Maschinengewehr.

ANOHNIs Solo-Debüt ist Tanzen zu großer Politik, dahin schwelgen zu Gedanken über Hass und Gewalt. Um private Themen, wie die eigene Verortung des Geschlechts geht es auf diesem Album nicht mehr. „Hopelessness“ ist ein Protest-Album, nur nicht mehr so blumig wie Ende der 60er.

(Nele Posthausen | eldoradio*)

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