Cover: Rustie - Green Language

Rustie könnte einem schon fast Leid tun: Da veröffentlicht er das lang erwartete Zweitwerk in der Woche, in der Ambient-Legende Aphex Twin nach mehr als zehn Jahren öffentlichkeitswirksam ein neues Album ankündigt. Mit einer Deep-Web-Schnitzeljagd, einem Zeppelin über London und was man sich sonst so als Werbeaktion noch ausdenken kann. Doch von dem Hype um seinem Label-Kollegen bei Warp lässt Rustie sich nicht unterkriegen und macht auf "Green Language" einfach ungestört sein Ding - ohne sich selbst zu wiederholen.

So ganz erfindet sich Rustie natürlich nicht neu - muss er auch nicht, nachdem sein Debüt "Glass Swords" 2011 bereits als Gruß aus der Zukunft der elektronischen Musik verstanden und gefeiert wurde. Klar, dass der Schotte seine charakteristischen Eskalationsstufen wohl kaum zu Hause gelassen hat.

Zwei Intros nehmen den Hörer am Beginn der Platte langsam in ihr Universum auf und zeigen die Varianz, die die instrumentalen Dimensionen auf dem Zweitwerk gut abstecken. Da wäre einmal das sphärisch-entrückte "Workship", mit orchestralem Spannungsbogen und allerlei Cymbalo-Gezerre zu Beginn, bevor "A Glimpse" mit hyperaktiven Glöckchen-Gebimmel und breiten Wonky-Bässen gemächlich vor sich hin wummert. Spätestens die erste Single "Raptor" ist dann genau das, was Rustie immer schon gemacht hat: Die Essenz von Übertreibung.

Rustie at his best: Synthetische Eskalation gepaart mit stampfenden Tiefen - ejakulative Dauerbeschallung mit ziemlich dicken Kopfnickerbeats - so lässt sich "Raptor" beschreiben. Lasst Eure Tiefsinnigkeit zuhause, hier gibt es keine zweite Ebene sondern brutal einfache Eindimensionalität. Hätte Rustie dieses Konzept straight auf Green Language durchgezogen, wäre die Platte kaum hörbar - außer als Höhepunkt eines ziemlich zugedröhnten Partymarathons. Auch deswegen lässt "Paradise Stone" auch erstmal wieder ein bisschen Luft aus dem überkochenden Kessel. Glockenspiel zur Entspannung ist angesagt.

Das folgende "Up Down" beschreibt dann perfekt den Dualismus von Rusties Albumkonzept: "What goes up, must come down", sinniert Kollabo-Rapper D Double E unter enervierenden Sittich-Lauten und Dubstep-Melodien - ohne dass es einen wirklich zu identifizierenden Drop gibt. Nach der Eskalation kommt wieder Entspannung.

Das dann folgende "Attak" zeigt dann den neuen Rustie: Den, der es schafft richtige Vocals in seine Sound-Dimension zu integrieren, als gehörten sie da sogar wirklich hin. Die Kollaboration mit Danny Brown war dann auch überfällig, nachdem Rustie bereits als Producer für einige Songs auf dem eskalativen Teil von Browns zwiegespaltenen Meisterwerk "Old" tätig war. "Attak" vereint dabei die Stärken von Rustie und Brown, die sich gegenseitig anpeitschen und einen echten Kracher abliefern. Und zu diesem Zeitpunkt hat man noch nicht mal die Hälfte hinter sich.

Die dann folgenden Tracks reihen sich in das "Up-Down"-Schema ein und können nach "Attak" eigentlich nicht mehr richtig schocken, fühlen sich eher ein bisschen nach Pflichterfüllung an. "Tempest", "Velcro" und "Let's Spiral" wirken wie instrumentale Lückenfüller zwischen den fast schon smoothen R'n'B-inspirierten Vocaltracks "He Hate Me", "Lost" und "Dream On", die Eskalation aus dem ersten Drittel der Platte wird nur noch sehr punktuell gesetzt. Nicht, dass dieses Pop-Gewand Rustie nicht auch sehr gut steht - doch seine Megalomanie des Übertreibens ist dann doch die bessere Wahl - allein schon weil es noch immer ein Alleinstellungsmerkmal für die Musik des Glasgowers ist.

Ein wenig harmloses Klaviergeklimper im Titeltrack und Closer "Green Language" kann dann schon fast als ironischer Schlusspunkt eines Trips durch die weiterentwickelte Soundwelt von Rustie aka. Russell Whyte verstanden werden. Wobei "verstehen" dabei vielleicht erst einmal einem vorsichtigeren "erfassen" weichen muss. (Paul Crone, eldoradio*)

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