Cover: Higher Authorities -- Neptune

Der 20. April, im Englischen 4/20 („four twenty“) ist weltweit als Tag des Kiffens, oder als Welt-Marihuana-Tag etabliert. Passend also, dass die Band Higher Authorities an dem Tag ein Album herausbringt, das klingt, als wäre es als Soundtrack für diesen Tag konzipiert worden: Neptune ist eine Platte, die so neblig und verschwommen klingt wie das Weedhigh, aus dem es entstanden sein könnte. Higher Authorities sind, so munkelt man, Ade Blackburn und Jonathan Hartley, beides Langzeitmitglieder der UK-Kultrockband und Psychedelic-Indie-Ikone Clinic. Zusammen mit dem Dub-Produzenten Adrian Sherwood haben sie nun ein Psych-Werk gebaut, das schon beim Hören in ein angenehmes Delirium führen kann – wenn man sich darauf einlässt.

 Das Coverartwork von Neptune scheint zumindest in ebendiesem Kifferdelirium entstanden zu sein: Schräg zusammenlaufende Striche führen zu optischer Reizüberflutung, drei Ananasfrüchte zieren die untere Hälfte – eine davon raucht einen Joint. Stilistisch ist das Album durchzogen von einigen wiederkehrenden Elementen: Übersteuerte Orgeln, die an alte Wersi-Heimvarianten erinnern, dröhnen monoton über Drumbeats, die geradewegs aus einer Heimorgel zu kommen scheinen. Ade Blackburns Gesang ist mal gelangweilt, mal unangenehm nervös, und sorgt beim Hören für spontane Fälle von Paranoia. Gelegentlich leitet ein durch ein WahWah gedrängtes Gitarrenriff einen Track an, und meistens liegt über allem ein waberndes Echo, um den Hörer in weite Welten zu entführen. Alles wird abgerundet durch einen bewusst amateurhaft klingenden und LoFi-orientierten Sound.

Der Opener des Albums, Another Time, Another Place gibt optimistisch die Richtung vor: ein bisschen uptempo, ein bisschen funky, aber vor allem durchgängig stampfend. Hier ist bereits Adrian Sherwoods Art des Produzierens deutlich hörbar – sämtliche Songs des Albums wurden in Echtzeit, quasi live, gemischt und erhalten so eine spontane, fast unkontrollierte Note. Im Song Twilight offenbart sich die Form des Songwritings auf Neptune; zwar haben die Lyrics einen Hintergrund, sind in ihrer Bedeutung offen genug, um interpretiert werden zu wollen. Im Kern hat Ade Blackburn sich jedoch an Phrasen orientiert, die melodisch und inhaltlich hängen bleiben. Das unsauber abgehackt gesungene „Twi-i-light / Twi-i-light…“ ist das Centerpiece des Songs und wird mehrmals wiederholt.

 Weitere Highlights finden sich im hektisch-paranoiden Colours – da dürfte sich bei jedem Hörer ein nervöses Herzrasen einstellen. In Abracadabra nimmt ein Percussionbett der Drummachine die Arbeit ab, und hier und da melden sich Kühe oder andere Tiere zu Wort. Der finale und titelgebenden Track des Albums Neptune zeigt die Band – leider viel zu spät – von seiner überraschend melodischen Seite, hier kommt dann auch Blackburns Signaturinstrument, die Melodica, gekonnt zum Einsatz.

 Nach den ersten Tracks hat man eigentlich den Modus Operandi des Albums begriffen – alles, was folgt, sind Variationen der Kernelemente, die bereits etabliert wurden. So bleibt wenig Raum für Überraschungen, aber mehr vom angenehmen Quasi-High, das beim Hören entsteht. Ob Higher Authorities als witziger, elaborierter Seitenhieb in Richtung Grasfreunde gesehen wird oder als experimentierfreudiges Nebenprojekt renommierter und eingespielter Musiker, darf jeder Hörer selbst entscheiden. So oder so ist Neptune ein aufregendes Debütalbum, das nicht nur für Freunde des THCs interessant sein dürfte.

(Sebastian Seifert | CampusFM)

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