Cover: Erfolg - Erfolg

Braucht die heutige Generation eigentlich noch Chefs? Kontrollinstanzen werden in neoliberalen Blütephasen obsolet, weil man sich von ganz alleine zu mehr Leistungssteigerung motiviert, oder besser gesagt: ermahnt. Schon längst brüllt keiner mehr von außen, die Stimmen sind bereits im Inneren."Glaub an Erfolg, sag es laut, mach es mir nach", singen sie und wollen den Zweifel vergessen machen, so den Stillstand verhindern und den Sachzwang zum Prinzip erheben. Das Meckern hat man sich sowieso schon verkniffen, jeder Hauch von Destruktivität wird manisch unterdrückt.

Man könnte meinen, dass sich Erfolg, das erste Soloprojekt von Johannes von Weizsäcker, jenen Optimierungszwängen annimmt. Im Opener "Erfolg" nimmt sich das lyrische Ich vor, Erfolg zu haben. Man hat den ab jetzt einfach, wirft sich "nicht von der Klippe", sondern hat Erfolg, "vor roten Zahlen", selbst "vor leeren Hallen", sogar "beim verlassen werden". "Alle reden von Selbstausbeutung, ich rede von Erfolg" und "Alle haben Zukunftsängste, ich habe Erfolg", singspricht von Weizsäcker, der sonst eigentlich mit der Electropop-Band The Chap aktiv ist. Er fingiert mit solchen Zeilen quasi das Phänomen der Panökonmie, also die komplette Ausdehnung wirtschaftlichen Denkens auf die eigene Lebenswelt.

Das kann natürlich (wohlgemeint) überinterpretiert sein. Doch vieles erinnert stilistisch an jene Art von Selbstsuggestion, die man sonst hinter einem autogenen Training für gestresste Menschen mit Jobproblemen vermutet. Auch im letzten Track "Negativität" singt jemand, der sich "Weitermachen statt einknicken" auf die Oberschenkel tätowiert haben könnte: "Du mit deiner Negativität bist ein totales Desaster!" Begleitet wird der Großneffe des früheren Bundespräsidenten dabei häufig von einem Damenchor, der den Selbsthilfe-Gruppen-Effekt nochmals verstärkt. Musikalisch ist das Projekt, für das von Weizsäcker erstmals auf Deutsch textete, reduzierter als die progressiven The Chap. Auch wenn es neben Klavierstücken elektrifizierte Momente ("Klaviermann"), Gitarren-Soli ("Guter Mann")und leichte Postpunk-Tendenzen zu entdecken gibt ("Seelenfestival").

"Mausmann" ist dann wiederum Studio Braun-ähnliche Spoken-Words-Comedy, in der die Geschichte eines Investment-Bankers, der eine Fernseh-Kochsendung gewinnt, erzählt wird. Highlight der "Mann"-Pentalogie ist aber der "Brillenmann" geworden, in dem der Frage auf den Grund gegangen wird, wer eigentlich diese Brillenmenschen sind, die dem Puls der Zeit immer einen Hauch voraus sind. Die im Berliner Berghain ein- und ausgehen, sowohl auf Vernissagen als auch Punkkonzerten zu finden sind und jeden Trend voraussehen können. Wie geht sowas? Von Weizsäcker hat die Auflösung:"Das fragmentierte Subjekt stellt sich physisch dar, als vielfacher Huldiger vor dem Szenealtar. Brillenmann C sagt zu Brillenmann A: "Ins Berghain musst du nicht, denn F ist schon da", darauf A zu C: "Das war ja klar, F gehört da ja schon fast ins Mobiliar."Dieses ironische Storytelling (fast schon die Art von Humor eines Schorsch Kamerun) ist herrlich skurril, bildreich, dann aber auch irgendwie bitterböse. Denn im Grunde wird hier vor allem eines deutlich: Erfolg verlangt heutzutage effiziente Selbstteilung.

Mit "Erfolg" ist von Weizsäcker ein intelligentes, fast schon leicht subversives Stück Popmusik gelungen, dem phasenweise nur sein arge Konzeptualisierung selbst im Weg steht. Sympathisch ist jedenfalls, dass sich von Weizsäckers unterhaltsamer Fingerzeig auf das Rationalisierungsdenkendem Hörer nie aufzwängt und darauf verzichtet, die Welt in gut und böse aufzuteilen. So umschifft Erfolg auch clever eindeutige Lesarten. Eine extrem witzige Vorstellung, dass das einmal dazu führen könnte, dass Erfolg nicht ironisch rezipiert, sondern tatsächlich auf Manager-Kongressen als Weitermach-Trainingseinheit empfohlen wird. (Philipp Kressmann, CT das radio)

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