Cover: Fatima Al Qadiri - Asiatisch

Ob vom China-Restaurant nebenan, dem Drachen-Tattoo, den Glückskeksen oder den Kung-Fu-Szenen aus "Kill Bill." China-Kenntnisse traut sich eigentlich jeder zu. Doch sind diese nicht irgendwie sehr oberflächlich? Dieser Frage hat sich Fatima Al Qadiri auf einer Art Konzeptalbum angenommen. Zur Person: multidisziplinäre Künstlerin aus Kuwait, geboren in Senegal, gesignt auf einem Londoner Label, weltweit auf Ausstellungen unterwegs, zuhause: anscheinend nirgendwo.

Nach genreübergreifenden und -verneinenden EP´s, erscheint nun "Asiatisch", das Soundelemente – die man geneigt ist, vorschnell als dem asiatischen Raum zugehörig abzustempeln – mit ("westlichen") Elektro-Fragmenten verbindet. Gerade diese Fusion ist für Al Qadiri jedoch nicht neu: beispielsweise mischte sie schon provokant Religionsgesänge von rivialisierenden Islam-Konfessionen. Interdisziplinär orientierte Magazine wie hierzulande etwa die SPEX stehen ihr gerade wegen diesen experimentellen Ansätzen sehr affin gegenüber und deuten ihr künstlerisches Schaffen aktuell zudem als Absage an feste kulturelle Identitäten. Tatsache: "Asiatisch" wirkt allein schon wegen der Klangaura interessant, die einen sowohl befremdet, aber auch – gerade deswegen – seltsam affiziert.

Bevor das übergangen wird: außer im Opener "Shanzai" (eine extrem eigenwillige Version vom Prince-Kitsch-Hit "Nothing Compares 2U", die im Internet auch noch in einer mit Schlagzeug instrumentierten Version kursiert) wird nicht gesungen. Stattdessen hört man Konglomerate aus dark-wave- haften Fetzen und stoisch kalten Drums, wie man sie von minimalistischen Hip-Hop-Stücken kennt (Pitchfork wies bereits daraufhin, das der Track "Wudang" namentlich die Region ist, die den Wu-Tang Clan inspirierte). Eine unheimliche Atmosphäre und vor allem eine distinktive Klangästhetik. Was sich nach viel theoretischem Überbau anhört, ist aber gar nicht so fern von der eigenen Erlebniswelt. Eventuell hat so etwas der ein oder andere bereits selbst schon einmal erlebt: ein Besuch eines "China-Restaurants", aber eben nicht zuhause um die Ecke, sondern in China selbst.  "There’s an illusion—you know what Chinese food tastes like, but then when you go to China, you’re shocked. You come to terms with reality", erklärte Fatima im Pitchfork-Interview. Dieser Moment der Nicht-Überführbarkeit von realer Erfahrung und verblendeter Stereotypie ist Kerngedanke des ganzen Albums.


Auf "Szechuan" (eigentlich, so Fatimas Verweis, heißt die chinesische Region "Sichuan"; die koloniale Schreibweise könnte man hierzulande von Bertold Brechts Stück "Der gute Mensch von Sezuan" kennen) treffen mönchhafte, chorale Segmente auf diffus programmierte Synthies ("Forbidden City") und Dub-Strukturen auf dieses gewisse Etwas ("Dragon Tattoo"), das man eben bequem als China-Tunes etikettiert. Diese werden auf "Asiatisch" aber mit R´n´B-Ansätzen (man denkt an diverse Timbaland-Produktionen), einem Hauch Industrial und einer Art Glocken-Grime infiziert. Irritationsmomente en masse: "Asiatisch" übt Faszination aus, weil es spürbar macht, wie unter der Stereotypie etwas Geheimnisvolles wabert, das sich entzieht. Zugleich ein Hinweis auf die "Gefahr der Uniformierung des Fremden nach eigenem Wesensschnitt", vor der der Philosoph Helmuth Plessner weitsichtig in seiner Eurozentrismus-kritischen Schrift "Macht und menschliche Natur"  warnte.

In diesem Sinne leistet die Allround-Künstlerin Al Qadiri Aufklärungsarbeit: "Asiatisch" sensibilisiert ganz unaufdringlich dafür, den Blick auf fremde Kulturen auf unkritisch übernommene Vorassoziationen zu prüfen. Trotzdem: Es ist nur Musik. In diesem Fall sogar Musik, die selbst noch nicht einmal  spricht, die mit konventioneller Hörerwartung bricht und erst auf der Metaebene ihr Diskurspotential offenbart. Die einen aber trotzdem irgendwie abholt. "Musik", über die man sich wundern kann, wie sehr sie einen mitunter nervt und verstört, aber auch anzieht, weil sie den eigenen Standpunkt nicht nur verrückt, sondern diesen erst in seiner eigenen Relativität sichtbar macht. Wenn Pop so etwas schafft, hat er eigentlich bereits gewonnen. (Philipp Kressmann, CT das radio)

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