Cover: Bibio - A Mineral Love

Bibio kann als Prädikat gelten. Mit schöner Regelmäßigkeit liefert Stephen Wilkinson seit gut zehn Jahren kleine Indieperlen ab, die verlässlich im Ohr bleiben, obwohl Bibios Musik meist ziemlich experimentell ist und immer wieder überrascht. Da wäre zum Beispiel „Take Off Your Shirt“ aus dem Jahre 2011, ein raues Stück Garage-Indierock mit klarer Message. „A tout a l'heure“ gab sich zwei Jahre später mit einer infektiösen Synthiehook entspannter und kontemplativer.

Anno 2016 meldet sich Bibio jetzt zurück. „Petals“ überraschte erst einmal mit Melancholie und entschleunigt hallender Instrumentierung aus Gitarre und Computer, die „A tout a l'heure“ teilweise aufgreift. Verträumt und wie eine Wolke aus der Nebelmaschine verbreitet sich der Albumopener in den Ohren. Damit ist aber mitnichten ein Muster für das dazugehörige Album „A Mineral Love“ gefunden. Statt nach „Petals“ tiefer in Traurigkeit zu versinken, präsentiert sich das Album als 45-minütiger Überraschungseffekt. Song für Song wirft Wilkinson jegliche stilistische Konsistenz über Bord und macht sich stattdessen auf, seine Vielseitigkeit in großen Lettern an die Wände zu schreiben.

Sobald der Opener verklungen ist, reist Bibio im Titelsong „A Mineral Love“ zu Nicholas Krgovich nach Vancouver, der sich erst kürzlich mit „The Hills“ wieder selbst übertraf, um in kalifornische Cabrio-Softeis-Palmen-Träume einzutauchen. Oberhalb der Drum Machine retten sich aus „Petals“ nur die Synthies in diesen Song. Auf der Weiterreise hält Bibio für „Raxeira“ bei Justin Vernon und S.Carey, bringt gegen die Traurigkeit aber etwas Reststimmung von L.A.s Strandboulevards mit. Auf der Hälfte endet der Song und Vogelgezwitscher leitet „Town & Country“ ein, wo cheesy Keys und verzerrte Gitarren etwas Fahrstuhlmusikatmosphäre verströmen.

„The Way You Talk“ klingt wie das Hologramm eines 90er-Jahre-Popsong, woran die Stippvisite des Australiers Gotye („Somebody That I Used To Know“, „Eyes Wide Open“) nicht unschuldig sein dürfte. „I couldn't love you / There's something about the way you talk“, anscheinend haben die Herrschaften etwas gegen bestimmte Redeweisen. Als weiterer musikalischer Neustart experimentiert „With The Thought Of Us“ mit Deep-House-Versatzstücken und Breakbeats. Was erst einmal anstrengend klingt, ist in dieser Kombination letztendlich Bibios bestes Lied auf der Albummitte.

Ähnlich wie Magnus International kürzlich ohne Vocals durch knallbunte Kaugummiwelten schwebte, groovet sich Gastsänger Olivier St. Louis kreuz und quer durch „Why So Serious“. „C'est La Vie“ verursacht mit den unruhigen Beat aus der Drum Machine Herzrhythmusstörungen, bevor „Gasoline & Mirrors“ wieder locker-leicht auf einem Meer aus fröhlichen Synthiewellen, Keyboardsounds und Gitarrenanschlägen surft. Nach der Gitarrenvariation Saint Thomas und zahlreichen überbordenden Musikmomenten endet A Mineral Love in den frechen Claps von „Light Up The Sky“, wo einmal mehr Nicholas Krgovich aus dem Cabrio winkt.

Das Genredurcheinander auf „A Mineral Love“ ist konzeptuell interessant, beim Hören allerdings auch sehr anspruchsvoll. Wo kein Song wirklich Halt gibt, braucht es Durchhaltevermögen. Aber so sehr Bibios neuestes Werk auch Sampler-Eigenschaften im Sinne einer Werkschau aufweisen mag: Musikalisch hochwertig und vor allem nachhaltig beeindruckend ist „A Mineral Love“ allemal. Fast jeder Song für sich bleibt mit all seinen Eigenheiten im Kopf und nicht nur damit manifestiert Stephen Wilkinson einmal mehr seinen Stellenwert. Auch im Jahr 2016 ist Bibio ein Garant für richtig gute Musik. (Benedict Weskott, CT das radio)

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